Goethe Pop Serie

Tagung

Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald, 29.–31. August 2019
Goethe Pop Serie
Foto: Jacob Franke

Kulturelle Ikonen. Zur Präsenz von Literatur, Kunst und Wissenschaft in der Alltags- und Massenkultur

Tagungsplakat "Kulturelle Ikonen" - Greifswald 2019

Foto: Anna Klatt

Literatur, Kunst und Wissenschaft sind populär: Literarische, philosophische, wissenschaftliche, künstlerische und selbst musikalische Zitate finden sich im öffentlichen Raum an Hauswänden, auf Plakaten, in hippen Cafés, Bars und Geschäften, auf T-Shirts, Jutebeuteln oder auf der Haut tätowiert, in der Popmusik oder als Memes in den Social Media. Literatur, Kunst und Wissenschaft sind auch in der Dingkultur angekommen: Die Doppelhelix oder Einstein auf Topflappen, Alan Ginsberg als Puppe, Goethe als Salzstreuer und Shakespeare als Badeente. Und sie sind in der Unterhaltungskultur lebendig, sei es in den Massenmedien (Fernsehdokumentationen, Serien, Filme, populärwissenschaftliche Publikationen) oder als Enactment-Kultur (Jubiläumsfeiern, Jahrestreffen, Soirées, Museen, Dichterhäuser).

Um die vielschichtige Verbreitung und das Zusammenspiel von Texten, Musiksamples, wissenschaftlichen Konzepten oder Bildern und Dingen nicht als einmalige Übertragungen in nur eine Richtung, sondern als eine (re-)produktive Praxis mit vielfältigen Rückkopplungen zu verstehen, möchten wir ein modifiziertes Konzept der kulturellen Ikone vorschlagen.

Ikonen zeichnen sich grundlegend dadurch aus, dass sie durch eine prägnante Verkürzung auf einen größeren Sinnzusammenhang verweisen, in unterschiedlichen medialen Repräsentationen vorliegen können und eine hohe Wiedererkennbarkeit besitzen: Sie sind (inter)medial verdichtete Zeichen. Als Belege öffentlicher Wirkung geben sie Auskunft über Produzenten- wie Adressatenmilieus, die mit diesen Kulturprodukten ihre individuellen Identitätsentwürfe oder die Zugehörigkeit zu einem Lebensstilmilieu performativ inszenieren und die Popularität (re-)produzieren. Betrachtet man die drei Dimensionen von 1. (re-)produktiver und intermedialer Entstehungsprozesse, 2. populärer Reichweite und 3. Identifikations- bzw. Deutungsprozessen und ihren jeweils gegebenen Rückkopplungsmöglichkeiten, lässt sich sowohl die Einbettung von kulturellen Ikonen in die gegenwärtige populäre Kultur als auch ihre aktuelle gesellschaftliche Wirkung umfassender beschreiben.

Dass Bilder für solche Transformations- und Zirkulationsprozesse geradezu prädestiniert sind, haben ikonologische und ikonographische Zugriffe belegt und die Forschung zu säkularisierten Formen der kulturellen Ikone hat es nochmals bestätigt (etwa Bouissac 1986, Ghosh 2011, Hall et al 2006, Haustein 2008, Kemp 2012, Leypoldt/Engler 2010). Doch kann eine ähnliche (inter)mediale Bedeutungsverdichtung ebenso im Fall von beispielsweise Texten, Musik und abstrakten Konzepten beobachtet werden. In diesen Fällen ebenfalls von ‚Ikonen‘ zu sprechen, ist keinesfalls widersinnig, wenn man sich vergegenwärtigt, dass bereits die Ikone im herkömmlichen (abendländischen) Verständnis des Heiligenbildnisses auf einen textlichen Zusammenhang verweist und damit ein Produkt intermedialer Zirkulation ist. ‚Kulturelle Ikonen‘ – seien sie bildlicher, textlicher, akustischer oder konzeptueller Natur – verweisen auf einen größeren kulturellen Zusammenhang, mag dieser nun eine National-, Hoch- oder Subkultur sein. Und genauso wie die kirchlichen Vorbilder erfüllen kulturelle Ikonen einen Zweck: Sie sind das Erkennungszeichen für (Fan-)Gemeinden. Dass dieser Zweck heute ein säkularer ist, hindert diejenigen, die sie als Ausdruck ihres Selbstbildes und / oder ihrer Gruppenzugehörigkeit verwenden, jedoch nicht an einem quasi-religiösen Umgang mit ihnen. Bezeichnend ist zugleich, dass diese Gebrauchsformen von einem anderen Standpunkt her betrachtet als Beschädigung oder Entstellung aufgefasst werden können, kurz: als Ikonoklasmus. Wer sich etwa den Nietzsche-Spruch „Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum“ auf den Rücken tätowieren lässt, legt ein Bekenntnis ab, das seiner bedingungslosen Hingabe zur Musik. Von Musikphilosophen oder Nietzsche-Spezialisten kann diese Form von Gebrauch als unangemessene Banalisierung oder Trivialisierung abgetan werden. Das Bekenntnis selbst enthält aber schon ein transgressives Moment, wenn implizit oder explizit eine bestimmte Form von Pop-, Folk- oder ein sonstiges vermeintlich illegitimes Genre gemeint ist. Der Rückgriff auf das Nietzsche-Zitat ist dann gleichzeitig eine Affirmation der eigenen Vorstellung von Musik und Lifestyle gegen als hochkulturell und dominant verstandene.

An diesem kurz angerissenen Beispiel zeigt sich einerseits, wie vielgestaltig die Verweisstrukturen, intermedialen Verbindungen und adressatenseitigen Aneignungsprozesse ikonischer Kulturphänomene sein können. Es zeigt sich allerdings auch, wie lohnend es ist, sie in ihrer gesamten Komplexität zu untersuchen. Dazu wollen wir vom 29. bis 31. August 2019 am Alfried Krupp Wissenschaftskolleg in Greifswald das Konzept der kulturellen Ikone interdisziplinär diskutieren.

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Programmflyerpdf, 190 kb


Dr. Paula Wojcik (Friedrich-Schiller-Universität Jena)
Dr. Hannes Höfer (Friedrich-Schiller-Universität Jena)
Sophie Picard (Université Aix-Marseille)

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